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War das Kind vor der Geburt Suchtmitteln ausgesetzt?

Gewisse Kinder sind während der Schwangerschaft psychoaktiven Substanzen ausgesetzt. Am häufigsten betrifft dies Alkohol, der die Entwicklung des Kindes schwerwiegend und dauerhaft beeinträchtigen kann.

Das Pflegekind hat möglicherweise Schwierigkeiten, welche die Pflegfamilie kaum nachvollziehen kann. Dafür sind verschiedene Ursachen möglich. Ist der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft eine davon? Die Anzahl Kinder, die in Heimen oder Pflegefamilien leben und in der Schwangerschaft Alkohol ausgesetzt war, ist Grund genug, dieses Thema hier anzuschneiden. Welche Anzeichen gibt es?

Die möglichen Folgen des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft kennen, hilft den Angehörigen, entwicklungsneurologische Beeinträchtigungen zu erkennen und eine angemessene Betreuung einzurichten.

Risiken des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft

Alkoholkonsum währen der Schwangerschaft kann zu entwicklungsneurologischen Beeinträchtigungen führen. Diese sind äusserst unterschiedlich. Man spricht von Fetalen Alkohol-Spektrumstörungen («Fetal Alcohol Spectrum Disorder», FASD).

Alle Organe können betroffen sein. Beim Hirn sind die Folgen am gravierendsten.

Generell werden die kognitiven und die emotionalen Funktionen beeinträchtigt. Dies wirkt sich auf das Lernen und das Verhalten und somit auf die soziale Anpassungsfähigkeit und Eigenständigkeit aus.

Weitere Informationen zu FASD finden Sie unter fasd-fachzentrum.de oder fasd-deutschland.de (Websites aus Deutschland).

Häufigkeit der Beeinträchtigung oft unterschätzt

Laut aktuellen Zahlen sind 1 bis 4 von 100 Neugeborenen in der Schweiz von Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) betroffen.

1 bis 4 von 1 000 Neugeborenen sind von der schwersten Form des FASD betroffen, dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS).

Beeinträchtigungen frühzeitig erkennen

Die Beeinträchtigungen sind äusserst unterschiedlich und oft kaum erkennbar. Werden sie früh festgestellt, lassen sie sich angemessen betreuen. Zwar können sie nicht geheilt werden, doch lassen sich die chronischen Folgen der Hirnschädigungen begrenzen. Sollten sich Ihre Befürchtungen durch entsprechende Beobachtungen bestätigen, sprechen Sie unbedingt mit Ihrem/Ihrer Sozialarbeiter/in, Ihrem Kinderarzt oder Ihrer Kinderärztin.

Mögliche Folgen der Hirnschäden

Bei Säuglingen

Die neurologischen Störungen beeinträchtigen die Anpassungsfähigkeit, den Schlaf, den Saugreflex, die Motorik und den Sehsinn.

Geringe Anpassungsfähigkeit auf Stimuli (Licht, Ton, Berührung).
Weiterbestehen gewisser archaischer Reflexe, also Automatismen vorhanden nach der Geburt, die normalerweise nach einigen Monaten verschwinden: Moro-Reflex, Greifreflex usw.
Erhöhter oder verringerter Muskeltonus, Saug- und Schluckreflex.
Häufig wiederkehrende Schlafstörungen (Einschlafen, seltenes Durchschlafen).
Wiegen und repetitive Bewegungen (können andauern).
Störungen bei der motorischen Entwicklung (Gleichgewicht, Koordination, Zittern, können andauern).
Sehstörungen, Probleme der Feinmotorik (geringe Fähigkeit, kann andauern).

Im Vorschulalter

Die neurologischen Störungen beeinträchtigen die motorische Entwicklung, die Kontrolle der Emotionen und das soziale Verhalten.

Verlangsamtes Lernen (motorisch, sprachlich, sich anziehen).
Reduzierte Gefühls- und Verhaltenskontrolle (lang andauernde Wutanfälle).
Verminderte Konzentrationsfähigkeit.
Unangemessenes soziales Verhalten (Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen vertrauten und fremden Menschen).

In der Schule

Die neurologischen Störungen beeinträchtigen das Lernen von Grundkenntnissen, die Planung, das Zeitbewusstsein, das Eigentumsbewusstsein, die Abstraktionsfähigkeit und das mathematische Denken.

Schwierigkeiten beim Lernen von Grundkenntnissen (Buchstaben und Zahlen erkennen, schreiben, rechnen).
Schwierigkeiten bei komplexem Lernen (Textverständnis, mathematisches Denken).
Eingeschränkte Abstraktions- und Verallgemeinerungsfähigkeit.
Schwierigkeiten beim Planen, bei der Zeiteinteilung, beim Verständnis für Zeit, Raum, Eigentum und Wert des Geldes.
Oft gläserne Decke beim schulischen Lernen, insbesondere in der Mathematik.

Gedächtnis

Schwierigkeit, sich an eine Anweisungsreihe, eine erfolgreich gelöste Aufgabe vom Vortag zu erinnern, Information aufzunehmen und abzurufen usw.

Sprache

Grössere Fähigkeit, zu reden und sich auszudrücken, als zu verstehen. Damit täuschen solche Kinder bisweilen. Schwierigkeit, bildliche Sprache, Ironie, rasche Dialoge usw. zu begreifen.

Verhaltensregulation

Impulsiv, rascher Übergang von Hyperaktivität zu Passivität, Schwierigkeit, angemessene Aufmerksamkeit zu schenken (zu viel / zu wenig) usw.

Diese Anzeichen frühzeitig zu erkennen

Diese Anzeichen frühzeitig zu erkennen verhindert Fehldeutungen der Schwierigkeiten, nicht erreichbare Ansprüche an Zielen oder Vorwürfe des absichtlichen Fehlverhaltens.

In der Begleitung solcher Kinder kann folgender Satz helfen: Es ist nicht das Kind, das nicht will, sondern es kann nicht.

Risiken und Folgen der Nichterkennung

Kognitives Potenzial wird unzureichend ausgeschöpft, Verhaltensstörungen (Entmutigung, verminderter Selbstwert, Schulabbruch oder Schulverweigerung, Reizbarkeit, Angstzustand, Depression, Trotzverhalten, Ausreissen, Risikoverhalten, Anfälligkeit für schlechte Einflüsse, unbedachtes, unangemessenes Verhalten etc.).

Schutzfaktoren, die eine Mehrfachbeeinträchtigung mindern können: Diagnose vor 6 Jahren, stabiles, anregendes, strukturiertes Zuhause, Zugang zu kompetenten Fachdiensten.

Interview mit Jugendlichen

Erklärvideo FASD

Leben mit FAS

Praxistipps

Einige Praxistipps für zu Hause -> Die 7 magischen Schlüssel, basierend auf dem Leitfaden für Eltern (Guide pour les parents et les aidants, S. 28).

  • Präzise und knapp formulieren.
    Keine Ironie, einfache Worte, kurze Sätze.
  • Wiederholen: das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt.
    Zuerst wiederholen, dann Eselsbrücken geben; so erinnert sich das Kind mit Hilfe und bleibt damit nicht alleine. Denn es vergisst, auch wenn es sich zu erinnern versucht.
  • Routine schaffen.
    Gewohnheiten beruhigen. Veränderungen voraussehen und vorbereiten, gleichbleibende Aktivitäten mit Anderen einplanen.